Erik wartete schon
seit Stunden in der Nähe des Potomak Rivers, um die fremden Wölfe
abzufangen. Laut den Informationen von Sylvester kamen sie jeden Tag
herüber, allerdings immer zu einer anderen Zeit. In einer
auffallenden Routine suchten sie die ganze Stadt ab, Stück für
Stück. Erik hatte sich heute Abend selbst dazu entschieden, den
fremden Männern zu folgen und etwas über ihre Pläne zu erfahren.
Über das Kind, das sie suchen.
Gegen elf Uhr
passierte eine Gruppe von fünf jungen Männern die Brücke und
teilte sich an der Kreuzung auf. Erik überlegte kurz, welche Gebäude
in welcher Richtung lagen und folgte schließlich dem einzigen Mann,
der allein gegangen war. Sein Ziel schien das städtische Kinderheim
zu sein. Die anderen konnten sich schließlich auch weiter aufteilen
und er müsste immer wieder entscheiden, wem er folgen sollte. Also
zog er die einfachste Wahl vor.
Der Mann, ganz in
schwarz gekleidet, verschwand in eine Gasse und Erik folgte ihm so
schnell und unauffällig wie möglich. Die Gasse stellte sich als
Sackgasse heraus und der Verfolgte stand wartend am anderen Ende.
Plötzlich hörte Erik Schritte hinter sich und drehte sich hastig
um. Die anderen vier Männer, aus der ehemals hier eingetroffenen
Gruppe, standen grinsend dort und musterten Erik von oben bis unten.
"Scheiße."
Gerade heute hatte er nur einen Silberdolch einstecken. Es war ja nur
ein Erkundungstrip, keine Kontaktaufnahme.
"Bist du
allein?" Der Mann am anderen Ende der Sackgasse trat auf Erik zu
und hob ihm eine Pistole entgegen. Erik musste rasch handeln. Aber er
konnte wohl kaum fliehen, wenn hinter ihm vier Männer und vor ihm
einer mit einer Knarre stand.
"Ich hab dich
was gefragt!" Erik sah ihm fest in die Augen als er wütend
erwiderte: "Ihr seid ungefragt in unser Revier eingedrungen! Ich
brauch dir überhaupt nicht antworten!" Wie aus heiterem Himmel
ließ der Mann die Pistole fallen und schrie vor Schmerz auf. Ein
kleiner Dolch hatte seine Hand durchbohrt.
Hinter Erik
stöhnten nun auch die anderen Männer schmerzerfüllt auf und fielen
zu Boden. Alle vier hatten die gleichen, kleinen Dolche in der
Schläfe. Natürlich waren sie aus Silber. Die Wundränder verfärbten
sich blau, ein eindeutiger Beweis. Erik sah sich verwundert um, aber
er konnte niemanden entdecken.
"Ich fand die
Situation etwas unfair. Fünf gegen einen." Eine kleine, schmale
Gestalt trat aus dem Schatten rechts von ihm. Erik war immer noch
über seine schnelle und recht lautlose Rettung verwundert und dachte
plötzlich wieder an den Mann mit dem Dolch in der Hand. Er war
verschwunden.
"Danke für
deine Hilfe..." Die Schattengestalt zog den am Boden liegenden
Männern die Dolche aus den Köpfen und wischte das Blut an deren
Hemden ab.
"Gern
Geschehen." Erik ging auf die Schattengestalt zu und streckte
seine Hand zum Gruß aus.
"Du
gehst sehr gut mit den Dolchen um. Ich bin Erik." Ihm blieb fast
die Spucke weg, als der kleine schwarze Schatten die Kapuze des
Mantels lüftete. Eine
Frau! Eine wunderschöne Frau. Sie
hatte schwarze Haare und schneeweiße Haut.
"Josephine."
Mit einer eleganten Armbewegung schlug sie ihren Mantel zurück und
steckte die Dolche in ihren Gürtel. Nun kam ein schwarzes Shirt und
enge, schwarze Jeans zum Vorschein. An den Füßen trug sie
Turnschuhe. Ebenfalls schwarz. Wieso zog sich so ein hübsches
Mädchen so unauffällig an?
"Kann
ich dir irgendwie für deine Hilfe danken?" Sofort erkannte er
den Schalk in ihrem Blick. Waren
das schwarze Augen? Oder trug sie Kontaktlinsen?
Vielleicht war sie
ein Mädchen aus der Gothic-Szene. Das würde das Outfit und die
Kontaktlinsen erklären. Aber nicht die Silberdolche und ihre
Kaltblütigkeit beim töten.
"Ich würde
gern etwas trinken. Dort hinten ist eine kleine Bar." Sie sah
bei weitem noch nicht wie einundzwanzig aus. Wohl eher siebzehn oder
achtzehn.
"Bar? Das ist
eine Kneipe! Und wohl kaum ein Ort für..." Sie unterbrach ihn
mit einer Handbewegung.
"... ein
kleines, hübsches Püppchen wie mich? Komm schon. Steck dir dein
Gentleman-Getue sonst wo hin. Du hast mich gefragt und ich hab dir
gesagt, was ich gern tun würde." Sie hatte noch nicht ganz
ausgesprochen, da wandte sie sich schon zum gehen. Nach ein paar
Schritten blieb sie stehen.
"Kommst
du, Erik?" Oh. Wie sie seinen Namen aussprach. Es klang über
die Maßen erotisch. Ein warmes Kribbeln drang durch seinen Leib.
Großer
Gott. Sein
Körper reagierte sofort auf sie. Wie eine Sirene zog sie ihn an und
schlussendlich folgte er ihr.
Auf dem Weg
dorthin rief er im Herrenhaus an und erklärte, wo die Leichen der
Männer lagen, damit diese entsorgt werden konnten, bevor ein Mensch
darüber stolperte.
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